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Zuhören allein reicht nicht

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Wer eine Krise vermeiden will, muss zuhören. Das ist ein Credo, welches in entsprechenden Ratgebern zur Krisenkommunikation rauf und runter gebetet wird. Dass dies allein nicht ausreicht, hat Computerspiele-Entwickler CCP eindrucksvoll bewiesen. Er hat es geschafft, einen über Monate schwelenden Konflikt mit seinen Kunden zu erkennen, bewusst zu ignorieren und sogar zu forcieren. Das Ergebnis: Tausende Kunden drohen mit Kündigung, was einen Millionenschaden nach sich ziehen würde. Selbst wenn es nicht so gravierend wird, herrscht dennoch eine große Kluft zwischen Entwickler und Spielern. Dabei war CCP bekannt für seine Communitynähe. Wie konnte es das Unternehmen so weit kommen lassen?Eve Online, Foto: CCP

Alles dreht sich um das Massive Multiplayer Online Roleplay Game (MMORPG) „Eve Online“. Das Spiel existiert seit acht Jahren und erfreut sich einer kleinen, aber treuen und sogar leicht wachsenden Fangemeinde von etwa 300.000 Spielern aus verschiedenen Ländern. Das Weltraum-Spiel lebt insbesondere von seinem ausgeglichenen Handels- und Wirtschaftssystem. Und genau dieses sehen die Spieler seit mehreren Monaten in Gefahr.

Der Stein des Anstoßes ist ein neues Finanzmodell, Micro Payments. Das sind Zusatzinhalte in Computerspielen, die gegen eine geringe Sonderzahlung (meist wenige Euro) freigeschaltet werden können. Dieses Geschäftsmodell ist durchaus üblich, auch bei Spielen mit völlig anderer Spielmechanik, oft Gratisspielen (wie zum Beispiel auch Facebookspielen wie . Farmville), die erst durch Micro Payments die großen Gewinne einfahren. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Eve Online nicht kostenlos ist. Die Spieler zahlen monatlich ein Abonnement, um spielen zu können, im Jahrespaket ganze 131 Dollar. Ihre Angst: Wenn bessere Waffen, Raumschiffe oder andere spielentscheidende Vorteile erkauft werden können, entsteht eine Zweiklassen-Gesellschaft zwischen normalen Abonnenten und denen, die ein paar Dollar extra investieren. Lange hatte CCP beteuert, diese Micro Payments nicht einführen zu wollen. Dies änderte sich im Herbst 2010, als CCP das Zahlungssystem für ein Addon ankündigte und damit einen ähnlichen Stimmungsumschwung hinlegte wie die Große Koalition beim Atomausstieg. Und die Community? Sie wurde hellhörig und äußerte von Beginn an ihre Skepsis.

Ein deutliches Zeichen setzte sie zum Beispiel mit einer Petition im Eve-Forum. CCP versuchte zu beruhigen. Die kaufbaren Gegenstände seien rein optischer Natur und würden die Leistungsfähigkeit der Spieler in keinster Weise beeinflussen. Das stimmte. Die Erweiterung erschien, und zu kaufen gab es lediglich Kleidung und Accessoires, wie zum Beispiel ein Monokel für 70 Dollar. Der Leser dieses Posts mag sich an dieser Stelle an den Kopf fassen und fragen, wer ernsthaft dazu bereit ist, 70 echte Dollar für ein virtuelles Monokel auszugeben. Mit Micro haben diese Zahlungen nun wirklich nichts mehr zu tun. Die Fangemeinde sah das ähnlich, und machte sich über „Monocle-Gate“ lustig. Noch blieben die Gamer aber relativ friedlich, denn die Spielerleistung konnte durch die Kaufgegenstände tatsächlich nicht verbessert werden. Der Waffenstillstand hielt, bis ein interner Newsletter von CCP geleakt wurde und sich am 22. Juni verbreitete (Der Newsletter kann hier, relativ weit unten im Artikel, als PDF  herunter geladen werden).

In dem besagten, verifizierten Newsletter diskutieren Entscheider darüber, in welche Richtung CCP mit den Micro Payments gehen sollte. Kurz gesagt: Einige sprachen sich für genau das aus, was die Spieler gefürchtet hatten – „Pay to win“. Noch brisanter war jedoch die Tatsache, dass viele Autoren betonten, dass der Community dieser Schritt nicht gefallen würde. Doch die Aussicht auf mehr Gewinn wog für viele Entwickler stärker. Besonders heikel wurde die Tatsache dadurch, dass der Newsletter auf Mai 2011 datiert war. Im selben Monat hatte CCP gegenüber den Kunden erneut dementiert, dass es derartige Gedanken gebe. Der Newsletter sorgte für einen Aufschrei unter den Spielern. Sie gingen auf die Straße – online. An den wichtigen Handelsorten im Spiel versammelten sie sich zum Protest und die Server brachen zusammen. CCP dementierte später, dass der Serverabsturz in Verbindung mit der Protestaktion stand. Dennoch reagierte das Unternehmen auf die Proteste. Aber wie…

Zwei Tage später wandte sich der PR-Chef unter dem Nicknamen CCP Pan später im Forum an die User. Er entschuldigte sich im ehrlichen Tonfall für seine Entscheidung, die Krise erst aussitzen zu wollen. Das war gut. Doch anstatt zu Kaufwaffen & Co eine klare Aussage zu machen, bezeichnete er die überhöhten Preise der bestehenden Gegenstände als Hauptproblem der Spieler. Das war schlecht. Denn auf das echte, mehrfach formulierte Hauptproblem ging weder er ein, noch ein CCP Blogpost, der einige Stunden später folgte. Die Community fühlte sich nicht ernst genommen – Gift für eine Geschäftsbeziehung, die davon lebt, Monat für Monat aus Zufriedenheit verlängert zu werden. Doch am 25. Juni folgte ein weiterer Paukenschlag, in Form einer brisanten CEO-Mail, die trotz Löschungsversuche seitens CCP (Aua!) sich wie ein Lauffeuer ausbreitete, obwohl ihre Echtheit nicht bestätigt werden konnte.

In der angeblich geleakten Mail von CCP-Chef Hilmar Peturrson spielte dieser die Reaktionen der Community als vorhersehbar herunter. Anstatt sich über den offensichtlich angedachten Kurs Gedanken zu machen, freute sich der CEO über 52 verkaufte Monokel in 40 Stunden. Der Kurs sei hart, aber er werde ihn fortsetzen. „I can tell you that this is one of the moments where we look at what our players do and less of what they say.“ Nur die Taten zählen also, das Gejammer interessiert niemanden. Das nahmen sich die Spieler zu Herzen. Hatten bereits zu diesem Zeitpunkt einige ihr Abonnements beendet, explodierten jetzt die Kündigungszahlen. Jetzt war es bei CCP doch Zeit für die Notbremse. Eine Liste von über 5.000 angedrohten Kündigungen und damit drohende Umsatzeinbußen von einer Million Dollar sorgten für ein Umdenken.

Einen Tag nach Erscheinen der Mail kündigte die Firma an, Community Vertreter zum Unternehmen nach Island einzuladen, um dort das Thema zu klären. Das Ergebnis der großen Krisensitzung, die am 30. Juni und 1. Juli stattfand: Es wird keine Micro Payments geben, die einen Spielvorteil erzeugen. Es hat zu keinem Zeitpunkt Pläne gegeben, dieses System einzuführen. CCP entschuldigt sich für die schlechte Kommunikation.

Schlechte Kommunikation? Oder doch falsche Produktstrategie? In den Tagen wurde häufiger diskutiert, wie häufig die PR-Abteilung wirklich Schuld trägt am PR-Desaster, und auch hier ist der Fall nicht eindeutig. Die CEO-Mail und der interne Newsletter lassen darauf schließen, dass CCP sehr wohl entgegen des Community-Willens handeln wollte, belegen lässt sich dies natürlich nicht.

Doch auch wenn die Schuld nicht eindeutig zuzuweisen ist, wurden über den gesamten Zeitraum kapitale Fehler begangen und nahezu alle Regeln von guter Krisenkommunikation missachtet, angefangen vom Entschluss, die Krise auszusitzen, über die Ignoranz und herablassende Art gegenüber den Kunden, die Löschungsversuche, bis hin zur mangelhaften Transparenz und der damit verbundenen Unglaubwürdigkeit. Es wirkt erneut wie bei der großen Koalition: Die plötzliche Kehrtwende scheint aus der Not zu kommen, sie wirkt nicht glaubwürdig. Der größte Fehler liegt aber darin, dass die Krise sich schon seit Herbst 2010 abgezeichnet hat. Wenn sich etwa 90 Prozent der Kunden gegen etwas aussprechen, und die Firma es trotzdem beschließt einzuführen, dann nimmt sie den Kundenverlust billigend in Kauf.

Die Tatsache, dass in beiden internen Dokumenten die Kundenabneigung völlig bewusst war, spricht dafür, dass die PR-Abteilung ihren Job erfüllt hat. Das Monitoring war vorhanden, die Fanstimmung klar abgebildet. Die Entscheider scheinen hier schlicht beratungsresistent gewesen zu sein, was eine Aussage von einem ehemaligen Mitarbeiter bestätigt. Man kann CCP nicht vorwerfen, dass sie ihren Fans nicht zugehört haben. Sie haben dem Gehörten schlichtweg keine Bedeutung beigemessen.

Das Fallbeispiel zeigt deutlich, wie wichtig es ist, die Stimmungen bei seinen Kunden richtig einzuschätzen. Warnsignale in einer Krise ähneln einer Ampel. Leuchten sie gelb, schadet erhöhte Vorsicht und Aufmerksamkeit sicher nicht. Wenn die Ampel aber auf Rot schaltet, und sich das Unternehmen dennoch entschließt, weiter mit Vollgas auf die Kreuzung zuzuhalten, ist der große Crash vorprogrammiert. Der Spieleentwickler CCP hätte gut daran getan, anzuhalten. Sie haben vor ihrem Unfall nicht nur eine, sondern gleich mehrere rote Ampeln überfahren.

Den genauen Wortlauf aller brisanten Zitate und der E-Mail hat ein Fan in einem Youtube Video als Chronik gesammelt.

  1. Ricca T.

    Habe den Aufruhr in den Eve-Foren und bei CCP nur am Rande mitbekommen. Danke also für die ausführliche Zusammenfassung dieser ähm ja „Panne“. 🙂 Schön geschrieben, gut recherchiert.
    Mal sehen was sich nun bei anderen MMORPG rührt…

  2. Jan Stockmann

    Vielen Dank. Freut mich, dass der Artikel gefällt. Ich bin auch erst durch den großen Knall am Ende darauf aufmerksam geworden, fand es bei der Recherche aber haarsträubend (und spannend ;)), wie es CCP überhaupt soweit kommen lassen konnte.

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