Der allgegenwärtige Informationsüberfluss erfordert drastische Maßnahmen: Spritz Inc. ist angetreten, uns zu noch schnelleren Lesern zu machen. Funktioniert das?
Die Idee des Schnelllesens ist eigentlich gar nicht so neu: Seit Jahrzehnten versuchen Menschen, Zeitungstexte, Fachliteratur, Belletristik und Uni-Reader im Rekordtempo durchzuarbeiten. Die Methoden und Techniken, die hierbei zum Einsatz kommen, reichen von Gedächtnis- und Konzentrationsübungen bis hin zu ganz handfestem Training für die Augen selbst. Ziel ist es, möglichst schnell und ohne Hin- und Herspringen ganze Sätze zu erfassen. Denn hier liegt das Hauptproblem von uns normalsterblichen Durchschnittslesern: Wir lassen uns einfach viel zu schnell ablenken, verbringen nur einen Teil der gesamten Lesezeit tatsächlich mit dem Erfassen von Wörtern und Sätzen. Dabei könnten wir die Zeit sehr viel effektiver nutzen. Zum Vergleich: Ein durchschnittlich geübter Leser bringt es im Schnitt auf bis zu 240 WpM, also Wörter pro Minute. Die Rekordhalter im Schnelllesen schaffen mitunter weit über 3000 WpM.

Dank digitaler App könnte genau diese Schnelllese-Technik nun revolutioniert und für alle zugänglich gemacht werden. Zumindest versprechen dies die Erfinder: Spritz Inc. heißt das amerikanische Start-Up aus Boston, das unsere Lesegewohnheiten komplett auf den Kopf stellen möchte. Was in Zeiten mehrerer Dutzend RSS-Feeds, Twitter-Abos und Google+-News auch bitter nötig scheint: Endlich werden wir wieder selbst Herr über die Informationsflut, die hier mit jeder Aktualisierung auf uns einprasselt. Allerdings nicht, wie „Simplify your life“-Anhänger empfehlen, durch digitale Auszeiten; vielmehr sollen wir noch effizienter und schneller lesen und längerfristig sogar verstehen lernen. Möglich wird das durch ein spezielles Texterfassungstool, das dem Leser beim Konzentrieren hilft: Im Fenster des Spritz-Readers erscheinen nämlich keine ganzen Sätze, sondern lediglich einzelne Wörter unserer persönlichen Nachrichten, Newsfeeds, E-Books. Die für das Leseverständnis wichtigsten Buchstaben werden automatisch rot markiert.
Wem das zu theoretisch klingt, der kann die neue App-to-be einfach selbst ausprobieren: Spritz Inc bietet auf seiner Website auch eine deutschsprachige Demo-Version, bei der Lesegeschwindigkeiten von 250 bis 600 WpM eingestellt werden können. Von totaler Überforderung bis hin zu genervter Ungeduld ist also alles möglich – und je öfter man die Beispieltexte durcharbeitet, desto schneller wird man tatsächlich. Nach einigen Versuchen wirken die durchschnittlichen 250 Minutenwörter schon ganz schön langsam. Ob das schon der verheißene Spritz-Effekt ist? Mit dem Gedächtnis hapert es jedenfalls noch bei den schnelleren Wortstakkati. Aber das könnte sich ja, regelmäßiges Üben vorausgesetzt, bald ändern. Verspricht zumindest das Unternehmen selbst: „Wir glauben auch, dass Ihre Geschwindigkeit beim normalen Lesen steigt, wenn Sie täglich etwas mit Spritz lesen“ ist dort zum Beispiel zu sehen – bei 500 WpM. Und wenn man schon einmal auf der Seite ist: Die englischen FAQs sind auch ganz lesenswert.