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Schockwerbung: Ein aggressives Mittel für das gesellschaftliche Wohlergehen

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Werbung überrascht und begeistert uns, sofern sie ansprechend gestaltet ist. Um jedoch erfolgreich zu sein, muss die Aufmerksamkeit des Rezipienten erlangt werden. In Zeiten der Informationsflut und sämtlichen AdBlockern wird das jedoch immer schwieriger.  Ein Ansatz, um schnell Aufmerksamkeit zu gewinnen, ist Schockwerbung. Dabei setzen die Produzenten meist auf Angst und Empörung. Ein gutes Beispiel dazu ist Anfang April in Paris entstanden.

 

Frankreich kämpft seit längerem mit unvorsichtigen Fußgängern, welche des Öfteren bei Rot über die Ampel gehen. Die Franzosen sind jedoch hierbei nicht die Einzigen. Ein kurzer Blick auf die Straßen der Großstädte zeigt, dass es mittlerweile ganz normal ist, bei Rot über die Ampel zu gehen. Die Zahl der Verkehrstoten in der EU ist nach 14 Jahren erstmal wieder gestiegen (Stand 2015). Im Kampagnen-Video wird die Zahl der jährlichen Verkehrsopfer in Paris auf 4.500 geschätzt. Dabei sind ausschließlich Fußgänger gemeint.

 

Rot gleich Tod? Die Kampagne!

 

Die digital ausgelegte Kampagne “La Securite Routiere d’île-de-France” der französischen Verkehrsbehörde (DRIEA) versucht nun, das Bewusstsein der Menschen dahingehend zu wecken. Dies scheint zu gelingen: Das Video zur Kampagne hat mehr als 235.200 YouTube Views und weist 2.730.000 Ergebnisse bei der Google Suche auf (Stand Juli 2017). Die Idee der Kampagne ist simpel und genial. Überquert ein Fußgänger bei Rot die Ampel, ertönt von der Reklametafel ein Geräusch eines rasenden Autos. In diesem erschreckenden Moment wird ein Bild aufgenommen und auf die nahe liegende Anzeige übertragen. Das entstandene Portrait wird mit einer Message ergänzt, welche die Betroffenen zum Nachdenken anregen soll.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=Z8_lGHuirgo&w=560&h=315]

Die Reaktionen sind erschreckend und aus diesem Grund auch sehr authentisch. Aufgrund des lauten Tons und der Unvorhersehbarkeit des Vorgangs wird auch der Video-Zuschauer in den Bann gezogen. Die Fußgänger sehen sich selbst, wie sie dem Tod (digital) ins Auge blicken. Glücklicherweise ist von einer echten Gefahr in dem Moment abzusehen, der Schock sitzt tief.

Es sind die ungewohnten Situationen, die die Betroffenen aus dem Alltag reißen. Nach einem kurzen Entsetzen folgt die Einsicht, dass man mit dieser Unaufmerksamkeit sein Leben riskiert.

 

“Even a slight wrong move can be your last – don’t take the risk to face death.” Mit diesem Satz endet das Video, womit die Message ein letztes Mal gekonnt platziert wird. Die Schockwerbung ist außerordentlich emotional geladen, was den viralen Hit in so kurzer Zeit erklärt. Es ist ein umfassendes Thema, welches die Mehrheit betrifft und direkt adressiert.

Anzeige mit Momentaufnahme des Schocks

Erste Erfolge durch Schockwerbung

Die Reaktion der Medien steigert die Bekanntheit und Relevanz dieser Kampagne. In vielen Beiträgen wird bereits versprochen, dass man NIE wieder über eine rote Ampel gehen wird. Das deutsche Internetportal Web.de hat hierzu eine fortlaufende Abstimmung veröffentlicht.

Ist die Maßnahme der Schockkampagne zu extrem?

 

Könnten Sie sich eine derartige Maßnahmen auch in Deutschland vorstellen?

Bildquelle: Web.de/Magazin/Leben/digital/SieSiehtDemTodInsAuge, 19.05.2017

Obwohl ein großer Teil der Befragten die Schock-Kampagne befürwortet, bleibt die Meinung geteilt. Kritiker argumentieren, dass der Schreck zu groß sei und mit einer echten Gefahr verbunden sein könnte. Vor allem ältere Menschen könnten ernsthafte Folgen von diesem Schock mit sich tragen, was die Eignung dieser Kampagne in Frage stellt. Andere verteidigen weiterhin das Überqueren der Straße bei Rot. Sofern man sicherstellt, dass keine Gefahr in Sicht ist, sei es für sie in Ordnung. Die ersten Komiker haben bereits die Idee, den Bewegungssensor absichtlich einzuschalten, um ein lustiges Bild von sich zu schießen.

 

Auch wenn die Meinungen gespalten sind, zeigt die Kampagne ihre Wirkung. Unzählige Menschen tauschen sich über ein Verhalten aus, welches man in der Regel im Kindesalter beigebracht bekommt.

 

Doch nicht nur die Franzosen versuchen mit aggressiven Mitteln gesellschaftskritische Themen anzugehen. Seit Mai 2016 sind auf den Zigarettenschachteln schockierende Bilder abgedruckt, die die Folgen von Tabakkonsum darstellen. Ob diese Methode in Deutschland jedoch wirklich erfolgreich ist und die Raucherzahl vermindert, bleibt fraglich. Die Meinungen dazu spalten sich ebenfalls. Nichtsdestoweniger ist die Kauflust beim Anblick dieser Bilder bei den Rauchern gesunken.  Aufmerksamkeit hat diese Aktion sicherlich auf sich gelenkt, doch tritt der gewünschte Erfolg auch in Zukunft weiterhin auf?

 

AIDA – auf Attention kommt es an, egal wie

 

Treu der bekannten Werbeformel AIDA setzt die Schockwerbung auf Aufmerksamkeit – und das um jeden Preis. Der Eyecatcher ist nicht zu übersehen und ruft meist negative Gefühle hervor. Solche Gefühle und Themen, mit denen man sich länger auseinandersetzt, als mit einem heiteren Witz. Genau diesen Denkanstoß hat die Schockwerbung als Ziel. Neben dem reinen Konsum sollen sich die Rezipienten ernsthafte Gedanken machen und ihr “Fehlverhalten” überdenken. Damit verspricht sich diese Methode einen langfristigen Erfolg, da die Menschen davon “abgeschreckt sind”.

 

Die drei wichtigsten Komponenten der Schockwerbung sind:

1.Unverwechselbarkeit: Anders sein und charakteristisch auffallen!

2.Mehrdeutigkeit: Mehr Menschen erreichen, indem man Platz für Interpretationen lässt.

3.Überschreitung von Grenzen: Durch die Nichtbeachtung von gesellschaftlichen Konventionen wird das Publikum zum Nachdenken angeregt.

 

Der Überraschungseffekt, welcher bei der Schockwerbung auftritt, beschleunigt den Prozess der Informationsverarbeitung. Menschen reagieren kognitiv stärker auf Inhalte, die sie nicht erwarten. Zudem steigt ihre anschließend auftretende Neugierde und entwickeln eigene Assoziationen diesbezüglich. Auf diese Weise nehmen sie sich die Botschaft zu Herzen und bemühen sich dementsprechend zu handeln.

 

Der Vorreiter ist und bleibt United Colors of Benetton

Schockwerbung ist nichts Neues und wird von manchen mutigen und gesellschaftskritischen Organisationen angewandt. In den 1980er Jahren überraschte mit United Colors of Benetton ein Unternehmen die Rezipienten mit seiner “unangebrachten” Werbung. Mit ihrer Werbekampagne lösten sie einen öffentlichen Skandal aus. In der Fotostrecke waren eine Nonne und ein Pfarrer küssend abgebildet. Andere Plakate zeigen die blutige Uniform eines ermordeten Soldaten. Während vor allem die älteren Rezipienten empört reagierten, verstand die junge Zielgruppe das Statement hinter den schockierenden Bildern. Die bewusstseinskrititschen Themen Krieg, Kulturen oder AIDS wurden öffentlich stark diskutiert. Der Bekleidungskonzern zielte in erster Linie auf die Steigerung des sozialen Bewusstseins ab. Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf soziale Missstände, indem sie das Publikum mit Tabuthemen provozierten.

 

Im Gegensatz zu NGOs ist für viele Unternehmen das verbundene Risiko mit Schockwerbung viel zu hoch. Neben einer negativen Rückmeldung, Umsatzverlusten oder Produkt-Boykotten, kann es auch zu einem Imageverlust kommen. Dennoch trauen sich einige “Rebellen”, unsere Gesellschaft zu kritisieren und gehen mit ihrer Werbung in die Geschichte ein. Einen langfristigen Erfolg kann die Schockwerbung haben, wie im Fall von United Colors of Benetton. Denn wer hätte gedacht, dass eine 20-Jährige Studentin über eine Werbung schreibt, die sie nie live gesehen hat?

tl;dr
Schockwerbung ist ein effektives Mittel, welches von einigen mutigen und gesellschaftskritischen Organisationen angewendet wird. In den 1980er Jahren überraschte United Colors of Benetton die Rezipienten mit seiner “unangebrachten” Werbung. Seit April 2017 setzt eine französische Kampagne auf dieses Instrument, um seine Bürger davon abzuhalten, bei Rot über die Straße zu gehen.

 

  1. Joana

    Spannender Beitrag!

Die Kommentare sind geschlossen.