Nach 33 Jahren konsequenter Verschwiegenheit und Monaten öffentlichen Drucks hat sich der Neckarsulmer Lidl-Konzern zugelegt, was für die meisten Unternehmen zum Standard-Repertoire gehört: Einen Pressesprecher. Thomas Oberle ist 50 Jahre alt, arbeitete zuvor für den Künzelsauer Schraubenhändler Reinhold Würth und steht schon vor seiner ersten Krise.
Der Grund: Nachdem Greenpeace Lidl und Real im Dezember 2005 den „Pokal für Maximale Pestizidbelastung 2005“ überreichte, kommunizierten beide Ketten sehr unterschiedlich. Real ging mit einer plausiblen Presserklärung an die Öffentlichkeit und weckte Zweifel an den Greenpeace-Methoden. Lidl dagegen sagte der Öffentlichkeit das, was der Konzern sonst immer sagt: Nichts. Naja, nicht ganz nichts. In großformatigen Anzeigen behauptete man, das Sortiment werde von unabhängigen Instituten geprüft. Bis eines der Institute gegen die Anzeige Rechtsmittel einlegte. Man unterhalte keine direkten Beziehungen zu Lidl.
Das ist eine erste Peinlichkeit des Konzerns, der sich Oberle in einem seiner ersten Interviews im Spiegel 06/2006 stellen musste. Seine Antwort klang etwas Lidl-typisch: „Von dem Problem mit dem Labor habe ich natürlich gehört“. Immerhin wolle man jetzt mit Greenpeace reden. Einen ersten PR-Erfolg verbuchte er gleich im nächsten Satz: Die Nennung Lidls neuer Biomarke. Bleibt zu hoffen, dass die von Oberle angekündigte „neue Offenheit“ in Zukunft noch ein bisschen offener wird. Auf der Website sind bislang zumindest noch keine Presseinformationen zu finden.
Bislang gab es bei dem Konzern andere Methoden, unliebsame Berichterstattung zu sanktionieren: Einer Redakteurin der „Badischen Neuen Zeitung“ wurde nach einem kritischen Bericht gekündigt, nachdem Anzeigenkunde Lidl bei der Verlagsleitung eine „kurze Beschwerde“ eingereicht hatte. Dennoch rückt der Konzern durch Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und der konsequenten Verhinderung von Betriebsräten immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Neben einer offenen Kommunikation wird Lidl auch andere unternehmensinterne Maßnahmen ergreifen müssen, scheint es.
Inwiefern es dem Mann mit einem der „spannendsten PR-Jobs in Deutschland“ (Oberle) gelingen wird, bei Lidl eine neue Kommunikationskultur zu etablieren, muss die Zeit zeigen. Kritisch sehen das unterdessen sowohl das Handelsblatt, als auch die – zugegeben relativ voreingenommenen – Ver.di im Weblog Schwarzbuch-LIDL sowie die Sozialromantiker von Attac. Die Globalisierungsgegner wollen Herrn Oberle ordentlich Arbeit beschaffen. Dass man es als Pressesprecher gegenüber Attac immer schwer hat – es sei denn, man verkauft nur Öko-Grünkernfrikadellen aus eigenem Anbau – steht auf einem anderen Blatt. Doch Herr Oberle wird auch ohne Attac in den nächsten Monaten genug zu tun haben.
Kleiner Tipp: Die Mehrzahl der Journalistenkollegen bezeichnet die Leute von attac als „Globalisierungskritiker“. Und der Begriff „Sozialromantiker“ ist ein Neologismus der gerne benutzt wird, um sozial orientierten Menschen eine obsolete Haltung, also Realitätsverlust, zu unterstellen.
Vielen Dank für die Kritik, Ulysses. Sicherlich ist der Begriff „Globalisierungskritiker“ der politisch korrekte für Attac-Mitglieder. Doch in der Blogosphäre sollte ein bisschen Polemik erlaubt sein, allein schon um der Diskussion willen. In meinen Augen trifft zudem für einige Attac-Mitglieder der Vorwurf des Realitätsverlusts und einer gewissen Verblendung durchaus zu, auch wenn einge ihrer Ziele durchaus hehr sein mögen.
[…] Wal-Mart bezieht in den USA Blogger in die PR-Strategie ein – und löst erwartungsgemäß Diskussionen aus. Schon seit Monaten hat Wal-Mart eine Menge Image-Probleme am Hals – ähnlich wie hier zu Lande Lidl. Die New York Times hat nun darüber geschrieben, dass Wal-Marts PR-Agentur Edelman positive Nachrichten ihres Kunden per Mail an Blogger geschickt hat. Stein des Anstosses: Die Meldungen sind von einigen Bloggern aufgegriffen und in ihren Blogs publiziert worden – allerdings zum Teil, ohne die Quelle Wal-Mart zu nennen. Nun ist die Frage: Waren diese Blogger zu naiv, oder hätte die PR-Agentur sie gar nicht ansprechen dürfen? Tatsächlich gibt es in den USA Blogger, die PR-Meldungen akzeptieren, andere lehnen dies rundweg ab, und idealerweise veröffentlichen Blogger hierzu die für sie gültigen Regeln. […]