In der aktuellen „SZ Wissen“ befindet sich ein Dossier zum Thema „Das soziale Netz – Ende der Privatsphäre“. Die Autoren Alexander Stirn und Phillip Wolf setzen sich darin durchaus kritisch und differenziert mit dem Phänomen Web2.0 auseinander (Auch der Blogger Jan Schmidt kommt zu Wort.). Vom Ende der Privatsphäre ist die Rede, von Datenschutz-Lücken und einer neuen Clip-Kultur. Ich sage dazu nur: Endlich!!! Endlich wird an prominenter Stelle fundierte Kritik am Web2.0 geübt. Das gab es leider in der vergangenen Zeit selten (sieht man einmal von dem durchaus erschreckend realistischen Szenario „Epic 2015“ ab, auf das Magdalena auch in ihrem letzten Beitrag hingewiesen hat).
Bisher waren es meist die herrschenden Medien-Eliten (allen voran die klassischen Tageszeitungs-Redakteure), die die Bedeutung der Online-Kommunikation zu schmälern versuchten und diese mit ebenso kurzsichtigen wie lächerlichen Argumenten abwerteten. Die Blogosphäre selbst hielt sich mit selbstkritischen Analysen zurück, verbreitete lieber Jubelstimmung und schoss zurück: Von Medienrevolution war die Rede und in der Anfangs-Hysterie wurde schon mal ein baldiges „Aus“ für die klassische Tageszeitung prognostiziert.
Und so kam es, dass sich lange Zeit niemand wirklich fundiert mit den negativen Auswirkungen der Blogosphäre, den Podcats und der zunehmenden Personalisierung des Contents auseinandergesetzt hat. Es wird Zeit, dass sich die Web2.0-Community (allen voran die Online-Journalisten) endlich auch einmal mit den Schattenseiten der Medienevolution auseinandersetzt – und nicht nur dauernd von neuer Transparenz und steigender Nutzerfreundlichkeit spricht.
Ist eine Zuspitzung auf Pointen – losgelöst vom Kontext – in Clips und Podcasts wirklich wünschenswert?
Führt personalisierter Inhalt zur einseitigen, manipulierenden und seichten Informationsflut?
Wie ist es um den Datenschutz in der Blogosphäre bestellt?
Greifen Selbstkontrolle und Selbstregulation innerhalb eines ständig wachsenden Web2.0 überhaupt noch?
Wie unabhängig sind die „neuen Gatekeeper“ angesichts einer zunehemenden Professionalisierung im Blog-Bereich überhaupt noch? Was unterscheidet einen prominenten A-Blogger von einem Zeitungskommentator (abgesehen vom Medium)?
Wäre doch vielleicht auch eine nette Idee für ein Seminar innerhalb des Studiegangs Online-Journalismus: Risiken und Gefahren des Web2.0 – kritische Auseinandersetzung mit einer neuen Informationskultur.
„neuen Gatekeeper“. du meine Güte.
Der Unterschied zw. „A-Blogger“ und Zeitungskommentator besteht in einer größeren Transparenz darin, wer der Autor eigentlich ist. siehe zB auch http://blog.handelsblatt.de/indiskretion/eintrag.php?id=1057
UND der nicht zu unterschätzenden Selbstregulierungskraft des/der Internets/Blogwelt. Etwas was man (oder zumindest ich) mehr und mehr bei den traditionellen Medien vermisse.
Ansonsten ist das ‚web2.0‘ ein harmloses Spielzeug im Vergleich zu dem, was unserem Innenminister so vorschwebt. Warum? Weil jeder selbst entscheidet, was er von sich preisgeben will.
Müssen die Leute mehr sensibiliert werden? ja.
Kann man ihnen aber grundsätzlcich zumuten, über ihre eigenen Daten selbst zu entscheiden? damn yes!
… sehe ich auch so. Wenn wieder von „neuen Gatekeepern“ die Rede ist, sehe ich die Innenminister eine neue Agentur aufbauen und das mit der freien Meinungsäußerung ist dann wieder was der Vergangenheit angehört. Nein, das hatten wir schon alles…
Die Leute müssen begreifen was passiert, müssen wissen welche Konsequenzen es haben kann, wenn sie etwas schreiben, lesen usw. Der gesunde Menschenverstand ist durch nichts zu ersetzen.
„Der gesunde Menschenverstand ist durch nichts zu ersetzen…“ Das sind wahre Worte, doch ist es nicht gerade der oftmals fehlende gesunde Menschenverstand, der das Web 2.0 bezüglich der Datensicherheit so gefährlich macht? Ralf schreibt, die Leute müssen begreifen was passiert… das ist klar, doch wie will man das anstellen? Von alleine funktioniert das nicht. Die so genannten A-Blogger und Web 2.0 Spezialisten, die die Gefahren kennen, hätten meiner Meinung nach die Aufgabe, die breite Masse dies bezüglich zu sensibilisieren! Fraglich ist jedoch ob die das überhaupt wollen?!
Genau auf diesen Punkt wollte ich hinaus. Wenn die „A-Blogger“, wie mir Dietrich Boelter im Experteninterview für meine Diplomarbeit erzählt hat, auf SPD-Wahlparteitagen genauso behandelt werden, wie normale Journalisten, dann ist das sicherlich ein Fortschritt und verdeutlicht, dass politische Akteure die Bedeutung der neuen Meinungsmacher erkannt haben. Andererseits muss man dann auch so ehrlich sein und zugeben, dass professionelle A-Blogger nichts mehr mit „Bürger-Journalismus“ zu tun haben.
Der wichtigste Punkt, auf den ich jedoch hinweisen wollte ist der, dass die Web2.0-Akteure sich selbst recht einseitig beobachten. Indem sie sich jedoch konstruktiver Selbstkritik verschließen, überlassen sie dieses Feld anderen – etwa den klassischen Medieneliten (oder noch schlimmer: dem Staat). Selbstregulierung funktioniert nicht ohne Selbstkritik!
Der Blog-Beitrag, den Marcel als Link angegeben hat, ist sicherlich in vielen Punkten nicht unberechtigt, hat jedoch zwei argumentative Schwachstellen:
1. Der Autor schiebt den ethischen „Schwarzen Peter“ den Massenmedien zu:
„Wie jede neue Technologie hat auch das Internet gute wie schlechte Seiten. Und den Journalisten obliegt es diese verschiedenen Aspekte zu erläutern und zu filtern.“
Damit entbindet er quasi die Web2.0-Akteure aus ihrer Verantwortung zu entscheiden, was ethisch vertretbar ist und gestattet es zugleich den Massenmedien richtend aufzutreten. (Einen Aspekt, den er zuvor noch kritisiert.)
2. Er legt die selbe schwarz-weiß Schablone an, die auch die klassischen Massenmedien benutzen, wenn sie Web2.0 kritisieren und spricht dem Fernsehen, oder zumindest den Tagesthemen, die Kompetenz ab, die Menschen zu informieren.
Ärgerliche Haarspaltereien (wenn sich der Autor etwa über die Umschreibung „der Redaktion liegen Videos vor“ aufregt) oder schlichtweg falsche Behauptungen (das Internet kann nicht den IQ steigern, wenn überhaupt kann es die Menschen wissender machen), seien hier nur am Rande erwähnt.
„A-Blogger“
Warum ich mich an dem Begriff „neue Gatekeeper“ aufgestoßen habe, scheint nicht weiter zu interessieren. Den Fehler, den Du im Text wie auch im Kommentar machst, liegt auf der methodologischen Ebene. Man kann nicht mit den gleichen Instrumenten auf Blogger wie auf Journalisten losgehen. Unterschiede mögen subtil erscheinen, sie sind aber da. Zum Beispiel kann man nicht von ‚a-Bloggern‘ verlangen, sie sollen auf dies und jenes hinweisen. Eben weil sie keine Gatekeeper sind, müssen sie das nicht! Bringt ein A-Blogger eine Info nicht, dann findet man sie einen Klick weiter. Ist die Info essentiell und der Blogger hat etwas grob fahrlässig ausgelassen oder beschönt, fliegt ihm alles um die Ohren. Im englischsprachigen Blogecosystem gibt es Millionen und Abermillionen von Blogs. Wie viele davon sind ‚A-Blogger‘ und wie wichtig sind die für das Gesamtbild und/oder die Informierung des Lesenden? Schon mal was vom Prinzip des Long Tails gehört?
Ich fange mich echt an zu fragen, was bei Eurem Studiengang gelehrt wird.
P.S. Warum werden die Internetadressen der Kommentatoren nicht angezeigt? Trying to gatekeep?
marcel
neunetz.com
Der Begriff „Gatekeeper“ ist ein eingeführter Begriff innerhalb der Kommunikationswissenschaften (http://de.wikipedia.org/wiki/Gatekeeper). Die Umschreibung „Neue Gatekeeper“ stammt nicht von mir, sondern findet sich in wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Web2.0 und wurde auch von Bloggern bereits verwendet (vgl. Ansgar Zerfaß und Dietrich Boelter: http://www.nnv.at/pdf/FB_4_Leseprobe.pdf). Mit meiner Einschätzung von den Risiken bezüglich der „neuen Gatekeeper“ stehe ich auch nicht alleine da (vgl. http://www.uni-leipzig.de/journalistik/suma/conference_g.html).
Die Antwort auf deine Frage, was im Studiengang gelehrt wird, ist zu umfassend und würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen (Linkhinweis: http://www.journalismus-darmstadt.de). Auf jeden Fall werden die Studenten aufgefordert, kritische Fragen zu stellen, augenscheinliche Tatsachen und Wahrheiten zu hinterfragen und nicht blind einem Trend hinterherzulaufen. Konstruktiv Kritik üben und mit konstruktiver Kritik umzugehen ist außerdem notwendig, um dieses Studium erfolgreich zu durchlaufen. Wissenschaftliche und argumentative Arbeitsweisen sind außerdem – wie bei jedem anderen Studium auch – erforderlich.
Vor allem lernen wir über Themen fachlich zu diskutieren und dabei andere Meinungen zu akzeptieren. Den Spruch gegen den Studiengang hättest du dir sparen können. Schon mal drüber nach gedacht, dass es gerade bei Thema Web 2.0 durchaus zweigeteilte Meinungen geben kann? Oder finden wir die Antworten aller Fragen auf neunetz.com? Das wäre ja toll…
Der Begriff Gatekeeper ist mir bekannt, deshalb stört er mich ja eben in dem Zusammenhang.
„In der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft beschreibt Gatekeeper (Nachrichtenforschung) einen (meist personellen) Einflussfaktor, der darüber entscheiden kann, welche Nachricht in den Medien erscheint.“ Und das trifft eben auf Blogger nicht zu, weil Internet/Blogosphäre eine Zensur naturgemäß immer umgeht (wie man gerade an einem bestimmten Video leider sieht).
Man kann als ‚A-Blogger‘ maximal eine Art Lenkmechanismus sein, der das Geschehen tendenziell beeinflussen kann. Aber eine thematische und informelle Kontrolle, wie es früher Journalisten hatten, hat heute niemand mehr. Deshalb finde ich den Begriff hier ungünstig, weil nicht genügend abgrenzend.
Ich stehe den neuen Entwikclungen was das Datentechnische angeht auch kritisch gegenüber. Ich erwarte aber von angehenden Akademikern, die auch noch in dieser Richtung studieren etwas mehr Tiefgang als das was mir hier im Blog bisher unterkam (den ich seit einiger Zeit abonniert habe). Gerade in dem Text kann man zwischen den Zeilen ‚Ihr braucht uns (Journalisten), weil das hier sonst doch nichts wird‘ rauslesen. Und das ist eine Meinung von gestern, das sollte Einem als Student des Studienganges Online-Journalismus bewusst sein. (Natürlich wird mir jetzt wieder jemand hier sagen, dass ich das missverstanden habe.)
Wenn ich mich im Ton vergriffen habe, dann tut mir das leid. Lag vielleicht daran, das sich meine Enttäuschung entladen hat. Ich hatte wie gesagt etwas höhere Erwartungen in das Blog hier.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Diskussion um den Begriff Gatekeeper so entscheidend ist. Ansgar Zerfaß und Dietrich Boelter, die diesen Begriff geprägt haben, sind sicherlich von einer Weiterentwicklung des Gatekeeper-Begriffs ausgegangen und haben ihn nicht nur auf die klassischen Medien bezogen, sondern Blogs als Medien begriffen. Ist für mich nachvollziehbar.
Aber einige von Roland Gramling aufgeworfene Fragen stehen noch unbeantwortet im Raum. Sicher können wir diese hier nicht abschließend diskutieren, doch ich will zu ein paar Punkten ein paar Gedanken loswerden.
>Ist eine Zuspitzung auf Pointen – losgelöst vom
> Kontext – in Clips und Podcasts wirklich
> wünschenswert?
Gegenfrage: Ist es nicht ein bisschen kulturpessimistisch, Pod- und Videocasts mit Sammlungen von Clips und Pointen gleichzusetzen? (Und warum: „Losgelöst vom Kontext?“) Für mich sind das zunächst leere Gefäße, die mit allen denkbaren Inhalten gefüllt werden können. Und im Gegensatz zu althergebrachten Publikationsmöglichkeiten spielt der ökonomische Hintergrund eines Senders eine weitaus geringere Rolle. Ich gebe zu, mich mit Videos im Netz als Mediennutzer noch nicht richtig anfreunden zu können, aber ich höre einige Podcasts mit großem Gewinn. Darunter sind Interviews, Nachrichten aus dem PR-Business, Unterrichtseinheiten etc. Natürlich könnte es immer mehr und immer Besseres geben. Aber da muss sich jeder selbst an der Nase packen.
>Führt personalisierter Inhalt zur einseitigen,
> manipulierenden und seichten Informationsflut?
Wer kann beurteilen, was seicht ist? Und zum Manipulationsvorwurf: Warum soll die beschriebene Flut manipulieren? Ist nicht eher anzunehmen, dass eine stark eingeschränkte Zahl von Kommunikationskanälen anfällig ist für Manipulationen? Oder anders: Stellen wir nicht fest, dass es so einfach war wie noch nie, Fehlinformationen oder Fehler zu thematisieren? Noch mal anders zugespitzt: Ich glaube, eine Boulevardzeitung kann im Zweifel viel stärker manipulieren als ein Blog.
> Greifen Selbstkontrolle und Selbstregulation
> innerhalb eines ständig wachsenden Web2.0
> überhaupt noch?
Was wäre die Alternative?
Nachtrag: Natürlich haben Zerfaß/Boelter nicht den Begriff der Gatekeeper geprägt, sondern den der „neuen Gatekeeper“.