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Heute schon gebloggt?

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Berthold Brecht hätte am Internet und vor allem an den Weblogs seine Freude gehabt! Er träumte schließlich schon 1932 in einer Rede zur „Funktion des Rundfunks“ davon, dass damals neue Medium „aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat“ zu verwandeln und den „Hörer zu einem Lieferanten“ werden zu lassen. Was letztlich an den technischen Voraussetzungen scheiterte, wird mit dem Internet möglich und durch die Weblogs zu einem weiteren, neuen Höhepunkt gebracht: Jeder kann am medialen Geschehen teilnehmen, jeder kann mitgestalten, seine Meinung und sein Wissen einbringen.

Soviel zu der idealistischen Theorie. Doch der neue Weblog-Hype, der die Internet-Gemeinde erfasst hat, ist doch etwas übertrieben. Zunächst einmal ist das Weblog doch eigentlich gar nicht so neu. Chats, Foren und Gästebücher vereinen sich quasi im Weblog und auch die alt bekannten Probleme und Nachteile finden sich hier wieder:

1. Wenn man sich die „Diskussionen“ in den zahlreichen Weblogs anschaut, erscheint dagegen eine Sabine Christiansen – Sendung als strukturierte, informative, gut moderierte Diskussionsrunde. Es wird gestritten, diskutiert und manchmal beschimpft man sich auch. Das Ganze noch dazu relativ anonym und dadurch – wie bei einem virtuellen Chatgespräch – mit niedriger Hemmschwelle. Informationsgehalt und Wissenszuwachs bleiben dabei leider auf der Strecke.

2. Eine „echte Unabhängigkeit“ wird dem Weblog gerne als Charaktermerkmal zugeschrieben. Von wegen! PR-Manager und Strategie-Berater haben längste die Weblogs entdeckt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie dieses Instrument der Meinungsbildung sinnvoll nutzen können. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Weblog „powered by Unternehmen XY“? Und wer es etwas weniger offensichtlich haben will, der lässt einfach seinen PR-Stab ein eigenes Weblog gründen und im eigenen Interesse „führen“. Wer hinter welchem Weblog bzw. Weblog-Eintrag steht ist heute schon schwer zu erkennen und es wird in Zukunft noch undurchsichtiger werden. Und so stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch die Weblogs zu einem Geschäft wie jedes andere werden.

3. „Man hatte plötzlich die Möglichkeit, alle zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.“ – Auch ein Zitat von Brecht, das den Zustand der Weblog-Landschaft sehr zutreffend beschreibt. „Adels Logbuch“, „Bibo-Blog“, „Geschriebene Gedanken“ und „Me gegen den Rest der Welt“ sind nur vier private Weblogs, die heute (03.05.05) als neue Weblogs bei www.weblogverzeichnis.de gelistet wurden. Nichts weiter als virtuelle Tagebücher. Statt der eigenen Website macht man eben jetzt sein eigenes Weblog auf. Ob das viel mit Brechts Medien-Vision zu tun hat? Von den unzähligen Weblogs im Stil von „Adult Sex Weblog“ auf www.yourdirtymind.com (Ich habe bewusst keinen Link gesetzt!) ganz zu schweigen.

4. Die scheinbare Macht von Weblogs – untermauert durch den „Jamba-Fall“ – wird immer wieder gerne angeführt. Doch mal ehrlich: wie viele Menschen haben von der Jamba-Krise etwas mitbekommen? Wahrscheinlich nur diejenigen, die sich selbst in der Blogosphere (Furchtbares Wort! Kommt direkt nach LOL oder ROFL) bewegen und daran teilnehmen. Die wirklich breite Öffentlichkeit – und damit meine ich eine Mehrheit der Bundesbürger – hat diesen Vorfall nicht bemerkt und wenn, hätte es sie wohl nicht interessiert. Und so haben die Blogger schon jetzt einen Status erreicht, den sie doch so gerne bei den üblichen Massenmedien kritisieren: Sie nehmen sich zu wichtig (und eigentlich machen sie sich gerade durch diesen Umstand unglaubwürdig und überflüssig).

Hat der Schreiber dieses Eintrags auch etwas Positives zum Thema Weblog zu sagen?
Natürlich! Weblogs sind – in einem gewissen Rahmen – eine sinnvolle Bereicherung des Web-Angebots. Wissenschaftliche Weblogs, Kriegstagebücher o.ä. wird es auch noch geben, wenn dieser unsägliche Weblog-Hype endlich abgeflaut ist und sich die Weblog-Szene konsolidiert hat. Und dann könnten sie tatsächlich zu einem Bestandteil des Mediensystems werden, wie es Brecht beim Rundfunk gehofft hat. Bis dahin jedoch sollte man sich fragen, ob es unbedingt notwendig ist zu jedem Thema und zu jeder Internetseite ein Weblog zu kreieren.

Nachtrag: Ärgerlich, dass ich ausgerechnet meine Kritik an den Weblogs in einem Weblog äußern muss. Aber ich befinde mich in guter Gesellschaft, schließlich hat Platon seine Kritik an dem neuen „Medium“ Schrift auch niedergeschrieben. Ironie der medialen Geschichte.

  1. tp

    Danke erst mal für’s „Lostreten“ der Diskussion.

    Ein paar Anmerkungen, die mir beim Lesen des Posts einfielen:
    Zu 1.: Eigentlich ist anonymes Posten weniger Blog-like. Einige tun es, wir haben in diesem Blog auch Kürzel, das ist aus meiner Sicht vergleichbar mit den Kürzeln in der Tageszeitung. Was den Wissenszuwachs betrifft stimme ich zu, der ist zum Teil extrem gering. Andererseits behaupte ich, dass man ohne Probleme ein paar Dutzend wirklich lesenswerter Blogs findet – im Vergleich zu etwa 120 Tageszeitungen bundesweit vielleicht gar nicht ganz schlecht. Der Stil ist allerdings tatächlich oft mehr als gewöhnungsbedürftig.
    Zu 2: Vor kurzem hat jemand Weblogs mal als Medium, vergleichbar mit Papier, verglichen. Da ist vielleicht einiges dran: Man kann seine privaten Notizen machen, man kann journalistische Beiträge schreiben, aber ein Unternehmen kann Weblogs auch in seiner PR einsetzen. Alles hat seine Berechtigung. Die erwähnte Unabhängigkeit von Weblogs sollte man nicht auf die Inhalte im Einzelnen beziehen. Die Besonderheit ist die Unabhängigkeit von den etablierten (Massen-)Medien.
    Zu 3: Auf der anderen Seite: Was spricht gegen private Blogs? Ich habe von vielen Leuten inzwischen gehört, dass sie bloggen, um von vier, fünf Freunden oder Verwandten gelesen zu werden. Und wenn die Leute dadurch in Kontakt bleiben, finde ich, hat das Blog schon seinen Zweck erfüllt. Denke, es ergibt sich automatisch aus der Aufmerksamkeitsökonomie: Je mehr publiziert wird, desto weniger Leser hat die einzelne Publikation. Ausnahmen – das wären in unserem Fall Blogs, die es schaffen, von Tausenden gelesen zu werden – bestätigen dies.
    Zu 4: Aus PR-Sicht ist nicht von Belang, wieviele Leute die Jamba-Krise mitbekommen haben. Entscheidend sind die Auswirkungen. Wenn sich z.B. Verbraucherschützer einschalten und Politiker schärfere Gesetze erlassen, kann dies den Handlungsspielraum eines Unternehmens empfindlich einengen. Die Aufmerksamkeit der Massen ist also nicht das Kriterium, sondern die Frage ist, wie reagieren wichtige Stakeholder?

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