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Die Reifenposse von Indianapolis

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Wer hat ihn denn nun, den schwarzen Peter? Ist er beim Reifenhersteller Michelin zu suchen, der es versäumte, Reifen zu entwickeln, die den Ansprüchen der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Indianapolis gerecht werden? Oder liegt die Verantwortung bei den Teams, die mit Michelin-Reifen unterwegs sind und sich am vergangenen Rennwochenende dagegen entschieden, ihre Fahrer auf die Strecke zu lassen? Müssen sich die Bridgestone-Teams, allen voran Ferrari, das Debakel auf die Fahne schreiben? Oder liegt die Wurzel allen Übels im Regelwerk der FIA?

Die Fragen sollen hier keineswegs abschließend beantwortet werden – können sie auch nicht. Allerdings ist das „Geisterrennnen“ von Indianapolis anschauliches Beispiel, wie unterschiedlich die PR-Arbeit zu ein und demselben Thema, jedoch aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, aussehen kann.

Für all jene, die das Rennen nicht verfolgten – was war geschehen? Nach den ersten Trainingsrunden und insbesondere nach Ralf Schumachers Crash in die Mauer wurden Zweifel laut, ob die Reifen des Herstellers Michelin den Ansprüchen an die Strecke gerecht werden können – und ob letztlich die Sicherheit der Fahrer gewährleistet werden könne. Nachdem keine adäquaten Ersatzreifen gestellt werden konnten schlugen die Michelin-Teams vor, die Strecke zu entschärfen. Dagegen legten die Bridgestone-Teams, deren Ausrüstung für den Grand Prix geeignet war, Einspruch ein. Letztlich gingen drei Teams an den Start – der Rest boykottierte den Grand Prix.

In den Medien wird von der Formel 0 gesprochen und geschrieben, der Farce eines Sportwochendes berichtet und das Ende des USA-Grand-Prixs befürchtet (es wird auch schwer werden, die verärgerten Fans zu besänftigen und wieder an die Rennstrecke zu locken)

Aber wie gehen die Beteiligten mit diesem sportlichen Super-Gau um? Die FIA verweist in einer Pressemitteilung vom 20.06.05 auf den Grundsatz des fairen Wettbewerbs: Formula One is a sporting contest. It must operate to clear rules. These cannot be negotiated each time a competitor brings the wrong equipment to a race. Zumal es ihm Rahmen des Reglements gewesen wäre, wenn die Michelin-Teams langsamer gefahren wären – aber wäre das noch faires Kräftemessen? Nein, doch vom in die Kritik geratenen neuen Regelwerk der FIA wurde der Fokus zunächst abgelenkt und stattdessen auf die mangelnde Vorbereitung Michelins hingewiesen.

Michelin hingegen legt den Schwerpunkt der am 19.06.05 veröffentlichten Pressemitteilung auf die Sicherheit der Fahrer: Michelin puts the accent on the safety at the United States Grand Prix […] Michelin is sorry that the tires it ran in free practice and qualifying were not suitable for use in racing conditions this weekend, but driver safety is always a priority. Michelin will never change its stance on this principle, whether we are talking about tires for competition or any other purpose. Auffällig, im Gegensatz zum Imageschaden für die FIA, der sich im Wesentlichen in den Zuschauerzahlen bei den Rennen und evtl. Nachwirkungen in Form von Einbrüchen beim Merchandising niederschlagen dürfte, hat es Michelin mit einer weitaus größeren Öffentlichkeit zu tun – schließlich werden nicht nur Reifen für die Formel 1 hergestellt. Verständlich also, dass der Schwerpunkt der Pressearbeit ein anderer sein muss.

Konkurrent Bridgestone hat hingegen bislang keine Veröffentlichung im Pressebereich, die sich mit dem Rennen beschäftigt. Bislang wird das Thema auf der Website totgeschwiegen (Stand 20.06.05, 02:18Uhr). Wozu auch? Schließlich hat man sich nichts vorzuwerfen – und damit das auch so bleibt, wird auch nicht der Sieg Michael Schumachers erwähnt, wohl aber sein fünfter Platz im Qualifikationstraining. Für Bridgestone gab es also bislang keinen Triumph beim USA-Grand-Prix. Auch eine Möglichkeit, sich nicht an einer heißen Kartoffel die Finger zu verbrennen.

Auch bei McLaren-Mercedes scheint das Rennen nicht stattgefunden zu haben. Toyota ist zu einer Reaktion geradezu genötigt – schließlich waren es gleich zwei Toyota-Fahrer, bei deren Trainingsläufen die Reifenprobleme bemerkt wurden. Und auch Toyota stellt die Sicherheit der Fahrer in den Vordergrund – ebenso BMW, die zugleich erwähnen, dass die Fahrer hinter der Entscheidung des Teams stehen. Ferrari (mit einem Doppelsieg) betont: Rules are Rules und würdigt die gute Zusammenarbeit gute Zusammenarbeit des Teams mit Bridgestone – endlich bietet sich in dieser Saison ein Grund dafür, wenn auch einer mit einem faden Beigeschmack.

Zu guter Letzt soll das Team des WM-Führenden zu Worte kommen: Renault. Die Ereignisse werden geschildert, Hintergründe genannt und auch die Fahrer auf dem Treppchen gewürdigt. Der Schwerpunkt in der Renault-Pressemitteilung liegt einerseits auf dem Aspekt der Sicherheit und andererseits auf den bisherigen Team-Erfolgen und dass Renault nach wie vor sowohl das Konstrukteurs- als auch das Fahrerklassement anführen.

Neben dem Imageschaden für die Formel 1 bleibt festzuhalten: Es gibt viele Möglichkeiten, einen Sachverhalt zu kommunizieren – und fast immer findet sich etwas Positives, das in den Vordergrund gerückt werden kann.