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Der vorauseilende Gehorsam der „Generation Facebook“

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Viele der Beiträge, die hier in den PR-Fundsachen erscheinen, haben ihren Ursprung nicht im stillen Kämmerlein. Einmal in der Woche besprechen wir Studis aktuelle Diskussionen der PR-Fachcommunities, aber auch neue Entwicklungen in der Welt des Digitalen und der sozialen Netzwerke insgesamt. In fünfminütigen Elevator Pitches stellen wir uns dann gegenseitig PR-Kampagnen vor – oder Themen, die in irgendeiner Weise für uns als Kommunikationsmenschen interessant sein könnten.

Als wir in einer dieser Diskussionen auf politische Meinungsäußerung im Social Web zu sprechen gekommen sind, konfrontierte der Professor uns Studierende mit unserer eigenen – zumindest digitalen – Politikverdrossenheit. Er beobachte bei unserer Generation einen vorauseilenden Gehorsam, nichts Politisches in Social Media zu posten. Das finde er übertrieben.

Neben dem „Da kann man eh nichts machen“-Defätismus, mit dem eine grundsätzliche Entpolitisierung einher geht, hat das weitgehende Schweigen meiner Generation zu politischen Themen auf Facebook und Co. aus meiner Sicht einen weiteren Grund. Ich glaube, es ist die Angst, später im Leben, vielleicht im Bewerbungsgespräch, einen Nachteil zu haben, durch das, was man einmal gepostet hat. Auf eine Online-Aussage reduziert zu werden, als verzerrtes Bild seiner selbst wahrgenommen zu werden.

Angst vor dem eigenen digitalen Spiegelbild?
Angst vor dem eigenen digitalen Spiegelbild? Foto: m.a.d.78, flickr

Wie oft wurde uns eingebläut, ja keine Partyfotos, auf denen wir betrunken zu sehen sind, ins Netz zu stellen? Das Internet vergisst nichts, wurde uns gesagt. Und jetzt? Jetzt sind wir so eingeschüchtert, dass wir denken: Wenn das Internet nichts vergisst, dann sage ich lieber nichts. Oder nichts, womit ich anecken könnte.

Auf der anderen Seite ist die Gefahr, dass durch unser Post-Verhalten falsche Annahmen über uns gemacht werden, durchaus konkret. Als ich zum Beispiel einmal über Facebook mehrere “taz”-Artikel angesurft habe, da hat mir das soziale Netzwerk eine Gruppe vorgeschlagen: „Sozialistische Irgendwas Gruppe Frankfurt“. Den genauen Namen weiß ich nicht mehr, weil ich sie so schnell weggeklickt habe. Hey, Facebook: Ja, ich lese hin und wieder diese alternative Tageszeitung aus Berlin. Aber nein, ein eingefleischter Sozialist bin ich deshalb noch lange nicht. Der Algorithmus hat einen falschen Schluss über meine Persönlichkeit aus meinem Leseverhalten geschlossen und mich in eine Schublade gesteckt.

Was passiert, wenn die Personalabteilung eines potentiellen Arbeitgebers diese Daten nutzt? Das Problem ist, dass wir selbst noch nicht wissen, wo wir später einmal landen werden. Vielleicht werde ich in einem konservativen Unternehmen arbeiten, vielleicht in einer kleinen NGO. Wege verbauen will ich mir keine. Doch was ist die Folge, wenn junge Menschen damit rechnen, dass Personalabteilungen in Zukunft versuchen werden, an ihre Facebook-Daten zu kommen? Die “FAZ” hat es 2012 so beschrieben: „Es gibt ein verstärktes Bewusstsein für etwaige Konsequenzen übermäßiger Mitteilungsfreude, etwa wenn der Chef Partyfotos oder politische Meinungsbekundungen sieht. Viele Nutzer haben daher mit Privatsphäreeinstellungen auf der Seite ihre Profile so angelegt, dass die meisten Inhalte nicht für die Öffentlichkeit einsehbar sind, sondern nur für ihre Freunde.“ In anderen Worten: Weil es der Chef oder die Chefin sehen könnte, exponiere ich mich politisch nicht öffentlich. Vorauseilender Gehorsam.

Algorithmen denken zwar nicht, stecken uns aber trotzdem in Schubladen. Foto: G. Kraftschik CC-BY
Algorithmen denken zwar nicht, können uns aber trotzdem in Schubladen stecken. Foto: G. Kraftschik CC-BY

Erst vor Kurzem hat mir bei ein Kommilitone aus einem anderen Studiengang der h_da erzählt, ein Freund von ihm sei gefeuert worden, kurz nachdem sein Vorgesetzter anarcho-libertäre Facebook-Postings von ihm entdeckt hatte. Wir alle kennen die Geschichte der US-amerikanischen Pressesprecherin, die auf Twitter über Obamas Töchter gelästert hat und solch einen Shitstorm kassiert hat, dass sie zurückgetreten ist.

Ich denke, junge Menschen können sich im Social Web nur unter einer Bedingung frei zu politischen Themen äußern: Sie sollten keine Angst davor haben müssen, dass in Zukunft irgendjemand ihre Posts aus dem Keller holt und diese – außerhalb ihres eigentlichen Kontextes – gegen sie verwendet. Eine Lösung wäre das im Juni von den Justiz- und Innenministern der EU in einer Datenschutzreform gestärkte Recht auf Vergessen. Es würde ermöglichen, später einmal zu verlangen: Facebook, lösche, was ich damals gepostet habe. Das braucht heute niemanden mehr zu interessieren.